Selbstvergessen, vielleicht selbstverloren steht Peter Handke vor dem Portal des Belgrader Flughafens. Hin und wieder bückt der große Dichter sich in seinem dunkelgrauen Mantel, greift in die Pflanzenerde und schaufelt, einmal, zweimal, dreimal eine Handvoll dunkler Erde hoch, die er dann an seine Nase hält. Intensiv inhaliert er den Geruch der serbischen Erde, die Heimaterde seiner Mutter - und die von Slobodan Milosevic.
Man schreibt den 17. März 2006. Der österreichische Schriftsteller hatte gerade auf der Beerdigung des einstigen serbischen wie auch jugoslawischen Präsidenten eine Rede gehalten, in der er keinen Hehl daraus machte, dass er im Balkankrieg mit den Serben sympathisierte. Für ihn waren Milosevic und die Serben die wahren Opfer des Balkankrieges. Aus eine Art Heimatverbundenheit.
Milosevic, der gebürtige Montenegriner war Kommunist, Sozialist und am intensivsten und leidenschaftlichsten Nationalist. Mit seinem Tod ging auf dem Balkon auch eine Epoche zu Ende, ein Ende, das den Völkern auf dem Balkan letztlich den Frieden und das Ende der Zwangsgemeinschaft brachte.
Milosevic musste sich vor dem Den Haager Gerichtshof für Menschenrechte für ihm vorgeworfene Kriegsverbrechen verantworten.: Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Kurz vor seiner von fast allen erwarteten Verurteilung verstarb er in seiner Gefängniszelle. An Vergiftung. Wenige Tage zuvor hatte er noch seine Anwälte alarmiert: „Man will mich hier vergiften!“
Über die Stichhaltigkeit einiger Vorwürfe gegen ihn - zum Beispiel sein Wirken und vor allem Wissen im Zusammenhang mit dem Genozid an Muslimen in Srebrenica gehen die Ansichten und Überzeugungen trotz der Gerichtsakten noch immer ebenso weit auseinander wie um den Tod durch Vergiftung.
Doch für die über 20 000 Trauernden in Milosevic Heimatstadt Pozarevac, wo Serbiens Diktator im Beisein Handkes zu Erde getragen wurde, ist es unerheblich, welche bösen Vorwürfe zutrafen oder nicht. Für sie war und ist er ein Held, in ihren Leben war Milosevic im Zwangsverbund Jugoslawien der Godfather des auserwählten serbischen Volkes. Seine Familie wohnte der Beerdigung indes nicht bei. Die engsten Verwandten gaben zu Protokoll, dass ihnen die nötigen Sicherheitsgarantien nicht gegeben worden waren. Viele hohe Funktionäre der Milosevic-Partei SPS waren indes gekommen.

In ihrem ungebrochenen Glauben an die Rechtschaffenheit Milosevics strahlen sie alle eine beeindruckende stille Würde aus, völlig unbeirrt von den TV-Kameras aus aller Welt, die meisten im Ruf stehend, ohnehin westliche Feinde des toten Führers und aller Serben zu sein. Die jahrelange Melange aus Sozialismus und Nationalismus, die er ihnen verordnet hatte, wirkt nach, hier im erbarmungslos eiskalten Wind von Pozarevac, der alle frösteln läßt. Wirkt nach im Unglauben, dass alles von Verbrecherhand hatte verordnet sein sollen.
Vor vielen Haustüren haben Sie heute am Tag der Beerdigung Blumensträuße, Blumengebinde, Foto-Porträts, Gemälde und Danksagungen aufgebaut; Tausende erweisen ihm auch im Mehrzweckbau von Pozarevac ihre stille Referenz als gelte es eine Passion für den Allmächtigen abzuhalten.
Kleinhändler verscherbeln derweil draussen Milosevic-Porträts auf Karten und Buttons. Man nimmt ihnen ab, dass sie sich nicht nur wegen des erhofften kleinen Gewinns in den eiskalten Wind stellen. Nein, sie identifizieren sich mit den kleinen und kleinsten Devotionalien, die sie verhökern.
Sie sind nicht die einzigen, die Geschäfte wittern. Direkt neben einem riesigen Porträt von Milosevic hat das Unternehmen NIKE ein gleichgroßes Werbeplakat für seine Sportschuhe, für den long tun, den langen Lauf durchs neue System, hochgezogen. Nike und Milosevic mit schwarzem Trauerbund auf plakativer Augenhöhe.
Serben, hört die Signale, schaut die bunten Bilder!
Triumph? Hohn? Spott? Wohl eher: das neue Business as usual.
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