Seit der größten Natur-Katastrophe Nepals, dem großen Erdbeben im April und Mai 2015 sind die meisten meiner Fotos des alten Zentrums von Kathmandu historische Dokumente. Die alten Tempel, Pagoden und Paläste rund um den zentralen Durbar-Platz sind fast alle in sich zusammen gestürzt. Selbst der Mount Everest wurde durch die gewaltigen Beben um 3 Zentimeter verschoben.
Vom Beben eingeebnet, sind die historischen Gebäude in Kathmandu heute Replika, vulgo: fakes wie etwa das Münchner Rathaus, das Berliner Schloß, die Frankfurter Altstadt oder Disney Land. Die Gebäude gaukeln Authentizität nur vor.
Als ich neun Jahre vor dem Beben, Anfang April 2006 in Kathmandu landete, ging gerade ein ganz anderes Erdbeben dem Ende entgegen. Der seit 1996 anhaltende Bürgerkrieg mit Tausenden von Opfern lag in den letzten Zuckungen. Fünf Tage lang war ich Zeitzeuge dieses Exits und der Befreiung. Die kommunistisch-maoistische Partei mit einem eher sozialdemokratischem Programm hatte obsiegt. Es folgte im Mai schon die Entmachtung des uneinsichtig brutalen Königs.

Während ich noch in der Luft war irgendwo zwischen Frankfurt und Doha wurde noch ein letztes Mal der Ausnahmezustand verhängt. Ein letzter Generalstreik mit fast einhelliger Unterstützung der Bevölkerung in Städten und auf dem Land hatte alle Räder im hinduistischen Staat lahmgelegt. Und so durfte niemand mehr ins Land. Eigentlich.
Dennoch brachte mich ein fast leeres Flugzeug der Qatar-Airline von Doha nach Kathmandu. An Bord war nur eine Handvoll Nepalesen, die zurück in ihre Heimat mußten. Zwar wunderten sich die uniformierten Grenzer am Flughafen in Kathmandu als ich von Bord ging, aber sie akzeptierten meine Legende: Verlagskaufmann mit wichtigen Verträgen im Rucksack! Keine Ahnung, ob es das Medium Buch oder der strenge Verweis auf „wichtige Geschäfte“ war, was mir den Eintritt in die No Go Area Nepal verschaffte.
Im großen, etwa 350 Zimmer großen Hotel war ich der einzige Gast. Kein Tourist, kein Nepalese außer den Bediensteten weit und breit. Der Vordereingang war verbarrikadiert, Soldaten patrouillierten vor dem schönen Haus. Drinnen freute sich eine zwar ebenso erstaunte Hotel-Belegschaft über den Gast, der nur mit Rucksack und Foto-Tasche durch den Kücheneingang ins Hotel geschlichen kam. Aber wir erlebten vielleicht gerade deshalb alle sehr muntere und fröhliche Tage. Es war wie in einem absurden Film: eine frohsinnige Abgeschiedenheit. Jede Begegnung mit einem oder einer Angestellten war ein Anlass zum reden, lachen, irgendetwas bestellen, Hauptsache man konnte miteinander kommunizieren.
Dem nächtlichen Ausgehverbot trotzte ich mithilfe eines jovialen Angestellten, der für mich in seinem Namen eine Rikscha bestellt hatte. Bei Einbruch der Dunkelheit begann die Fahrt hinter flatternden durch die Nacht, unbehelligt, allein die Militärpräsenz an allen möglichen Bauten und Straßenkreuzungen ließ erkennen, dass keine Normalität herrschte. Meine Beklommenheit wich schnell. An Fotografieren war zwar nicht zum denken. Dafür zeigten sich die Soldaten am letzten Tag des Ausnahmezustands - meines Abreisetags - sehr willig, mit martialischem oder auch freundlich gelassenem Gesichtsausdruck fotografiert zu werden. Je öfter desto besser. Sie ahnten oder wußten, dass sie längst im Aftermath des Krieges, in der Zeit nach dem großen Bürgerkrieg angekommen waren.
Dieses tolle Abenteuer hatte ich meinem damaligen Chefredakteur Bernd Ziesemer zu verdanken. Der mittlerweile zwar konservative, doch kluge und unbeirrbar anständige Wirtschafts-Journalist war in seinem früheren Leben einer der führenden Köpfe der maoistischen KPD in Deutschland. Und obwohl er sofort die radikal-kommunistische Partei verließ, als diese begann, über Gewaltakte nachzudenken, hatte er sich das Interesse an den Maoistischen Parteien und Bewegungen im Fernen Osten bewahrt. Deshalb ahnte er das Ende des Bürgerkriegs in Nepal voraus und schickte mich als schreibenden Zeitzeugen hin.„Big Bernd“, wie man ihn im Handelsblatt nannte und noch nennt, sei gedankt. Und natürlich Mao!


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